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Wer Musik ernst nimmt, muss sie groß meinen. Der Musiker darf keine Angst haben vor mächtigen Worten, er muss etwas wollen, das bedeutender ist als er selbst, und deshalb ist es auch so richtig, dass Fayzen auf die Frage, wieso er im Alter von 15 Jahren mit der Musik angefangen hat, antwortet: „Ich wollte etwas Wahres machen. Und klar, die Welt verändern wollt’ ich schon auch.“
Ende der 90er. Die Welt verändern, das geht jetzt eigentlich nur mit einem Musikgenre. Fayzen schließt sich einer Hamburger Rap-Crew an. Zuvor hatte er jahrelang Texte für sich selbst geschrieben, Lyrik vor allem, er hatte versucht, sich das Leben schreibend begreiflich zu machen, ohne dabei schon ein Produkt vor Augen zu haben. Als er Torch, Freundeskreis und Curse zum ersten Mal hört, ahnt er, dass auch seine Texte Musik werden könnten. Und dass sie es auf diese Weise vielleicht in die Ohren, Köpfe, wenn es gut läuft sogar Seelen von Menschen schaffen.
Fayzen, damals 17, schreibt fortan wie ein Besessener auf Beats. Es ist schneller, klarer, gesellschaftskritischer Rap, von dem er in den folgenden Jahren 20.000 selbstproduzierte Mixtapes in den Straßen seiner Hamburger Heimat verkauft. Einen Großteil des Geldes schenkt er seinen Eltern. Als Dankeschön für eine unbeschwerte Kindheit, die sie ihm trotz Flucht aus dem Iran ermöglichten. Aber auch als Beweis, dass der unkonventionelle Weg des Künstlers der richtige für ihn ist: Schaut, euer Junge schafft das.
Und eigentlich aber zieht es den Jungen da schon wieder weiter. Denn so romantisch die Geschichte vom Straßenmusiker auch ist, Fayzen will auf die großen Bühnen und von dort gehört werden. Also bastelt er an einem Demo, bringt sich selbst Gitarre und Klavierspiel bei, arbeitet Tag und Nacht an Texten, denn immer noch kommt Fayzens Musik vom Wort.
Doch umso klarer ihm wird, welche Geschichten er erzählen will, desto unklarer ist auf einmal ihr Sound. Er probiert viel aus, schmeißt den Großteil wieder weg, das Demo wird und wird nicht fertig, er lässt trotzdem nicht davon ab – und das ist ja auch eine Wahrheit der Kunst: Die Suche nach ihr auszuhalten, ist oft schon der halbe Weg.
So ist es auch dieses Mal. Durch Zufall lernt Fayzen einen Musikmanager des Major-Labels Universal kennen – und plötzlich fließen die Dinge wieder. Er bekommt einen Vertrag, 2013 erscheint sein Album „Meer“. Den Hip Hop hört man dort immer noch heraus, aber die meisten Titel sind weicher, stiller, Singersongwriter-Pop ohne Worthülsen und Instant-Gute-Laune-Lyrics. Fayzen singt von der Sehnsucht nach Zuhause und der Kraft des Fernwehs, er gibt dem Kummer einen Namen und der Hoffnung einen Sound. „Und Reim für Reim öffne ich mein Herz mit jedem Wort / Als ich’s das letzte Mal da draußen tat, da ging mein Mädchen fort“, heißt es in „Paradies“, und kaum je zuvor wurde Liebeskummer schlichter und größer besungen.
Aber obwohl er von sich singt, ist es nicht nur die eigene Gefühlswelt, die Fayzen beschreibt. Innensicht – oft die beste, weil aufrichtigste Projektionsfläche dessen, was in der Welt passiert. „Statt dass ich draußen Steine auf die Polizei schmeiß / Schmeiß ich sie hier drinnen auf die eigene Feigheit“ heißt es da einmal. Der heute 32-Jährige schreibt über sein Unvermögen, den Ungerechtigkeiten der Welt die Stirn zu bieten, und er tut dies angenehmerweise ohne Zeigefingerduktus – und wenn doch mal, erdet er die Weltretter-Pose sofort wieder mit Sonntagnachmittagslethargie. Auf das große Wachrüttler-Plädoyer („Ey du, wir müssen auf die Straße / Weil die da unsere Intelligenz verspotten / Kannst du noch zusehen / Wie eine Hand voll Typen unsere Welt verzocken“) wird im Refrain ein müdes „Und der Wasserhahn tropft / Und der Wasserhahn tropft / Ich könnte den mal zudrehen / Doch kein Bock“. Soundtrack für eine Gesellschaft, die sich durchaus politisch engagiert – aber eben lieber per Online-Petitionen als bei Freiluft-Demos.
Am 21. April erscheint nun Fayzens neues Album „Gerne allein“. Noch immer, das hört man sofort, sind ihm die Dinge nicht egal – und vielleicht ist das überhaupt das größte Wagnis des Künstlers Fayzen: dass er mit dem Pop-Prinzip der Oberflächlichkeit bricht. Dass er die Welt mit seiner Musik unterhalten, aber auch ernst und dafür in Kauf nehmen will, die Menschen zu beanspruchen. Nicht mit Forderungen, sondern mit einem unverstellten Blick ins eigene Innere. „Am Anfang der Produktion standen für mich ganz viele Fragen. Warum hat sich meine Exfreundin von mir getrennt? Warum ist mein Opa gestorben? Also: Wie geht man mit dem Verlassenwerden um? Was ist eigentlich meine Aufgabe? Gibt es Gott? Bin ich schuldig? Wie ist das eigentlich, wenn ich alleine dadurch, dass ich Sachen konsumiere, eine Weltordnung fördere, die ich in großen Teilen ablehne? Und ist es moralisch okay, wenn ich trotzdem glücklich bin? Was ist Wahrheit? Und wie komme ich ihr näher?“
Mit der Arbeit am Album ging er auf die Reise nach Antworten. Und genau wie bei jedem anderen, war dabei auch Fayzens Bewusstsein eine Mischung aus Außen und Innen, aus Vergangenem, Gegenwart und Hoffnung. Da ist der Vater, der mit 17 Jahren und 20 Mark in der Tasche aus dem Iran nach Deutschland kam, sein Abi nachholte, studierte, der drei, vier Jobs gleichzeitig machte und nach der Silvesternacht 2015 trotzdem überlegte, das Land wieder zu verlassen, weil er Angst hatte, die Stimmung gegen Zuwanderer könnte gefährlich kippen. Da ist seine Mutter, die den Vater am Telefon kennenlernte, die sich in eine Stimme verliebte und einen Heiratsantrag annahm, ohne genau zu wissen, wie das Land sein würde, in das sie geht, und deren Mut mit dem Glück einer noch immer sehr nahen Ehe belohnt wurde, auf das Fayzen staunend und stolz schaut. Und aus dem sich für den Sohn aber auch eine ganz andere Fallhöhe ergibt. Solch eine Liebe beobachtet zu haben und dann verlassen zu werden, dann zu erfahren, dass die Freundin das gemeinsame Baby abgetrieben hat, dann nicht zu wissen, wohin einen das Leben treibt – ist vielleicht nicht doppelt hart, aber zumindest sofort als Verlust spürbar; und Fayzen singt auf so rührende Weise davon, dass es den Zuhörer ans Herz fasst.