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"Love In The Milky Way" live 2018
IT´S OK TO BE SAD
Die Platte beginnt in einem Zimmer (es ist fast Abend, ein bisschen Licht kommt noch rein) zu den Klängen einer Autoharp, einer Art Country-Zither, mit Knöpfen zum Akkorde drücken, auf der etwa auch P.J. Harvey schon ganze Alben geschrieben hat. Dann beginnt der Gesang mir den Zeilen you gimme that fever, hot fever und das Bild öffnet sich. Begleitet von Streichern, Panflöten und Pauken singt uns SARAH KLANG in einen riesigen Speisesaal mit Brokat und zwölfarmigen Leuchtern. Am Ende des Saals stößt sie ein Tor auf und rennt barfuß im weißen Kleid mit langer Schleppe in eine unklare Landschaft mit traumhohen Wasserfällen, Felsen, nie gesehenen Tieren und Sternenstaub. Irgendwo steht ein Pferd. An einem Baum lehnt ein Gewehr. Sarah schultert es sich um, hebt ein Stück Kohle vom Boden auf, zeichnet sich Striche unter die Augen und reitet davon.
Nein, das ist nicht das von Dreamworks produzierte Video zu SARAHKLANGs neuer Single, es sind die Bilder, die in meinem Kopf lospurzeln, als ich den Titeltrack ihres Debutalbums „Love In The Milky Way“ zum ersten Mal höre. Aber vielleicht würde sie sich darin wiederfinden, denn SARAH KLANG liebt Übertreibungen, Inszenierungen, Verkleidungen. Sie gehören untrennbar zu dieser außergewöhnlichen Künstlerin.
Aber von vorne: Als E.T. wieder zuhause, der Prince nicht mehr so fresh und Michael Jackson schon weiß ist, wird SARAH KLANG in Göteborg geboren. Schon bald zieht sie mit ihrer Familie nach Norden, an die finnische Grenze. Aufs Land, wo viel Zauber aber wenig Licht und das Tor zur Arktis nicht weit ist. Viel vom Gefühl dieser Landschaft, viel von der Melancholie dieser Zeit, ist auf „Love In The Milky Way“ gelandet. Ein neues Umfeld, Trennungen in der Familie, alles passiert auf einmal. Sarah ist ein sehr sensitives Kind, das früh Rettung in der Musik findet. In ihrer Pubertät, als andere dem Bann der makellosen Schönheit von O.C.-California-Darstellern erliegen, wendet sich Sarah den Verweigerern zu und eine Platte wie Nevermind spricht auch ihr sehr aus dem Herzen.
Sie sucht und findet Inspiration in der bildenden Kunst und in der Magie der alten Filme. Sie lernt die Codes der Mode kennen und entdeckt die Möglichkeit sich mit ihrer Hilfe neu zu erfinden. Dabei stößt sie auf das Inszenierungs-Genie Dolly Parton, die (weibliche) Drag Queen des Country, von der der berühmte Satz stammt „It cost me a lot to look that cheap”. Sarah verliebt sich in die 50er-Jahre Kleider, die Weiblichkeit auf eine groteske Art betonen, beginnt mit Stereotypen zu spielen, um später die Figur SARAH KLANG als feministisches Statement zu entwerfen.
Sie wohnt in Göteborg, sie ist auf dem Weg eine Sängerin und Songwriterin zu werden, lernt Kevin Andersson kennen, mit dem sie Songs schreibt. Gleichzeitig arbeitet sie an der visuellen Umsetzung, an Fotos und Videos. Sie bezieht vermehrt Freundinnen in den kreativen Prozess ein, da es ihr wichtig ist, dass Frauen sich beruflich helfen und in der nun schon Jahrtausende andauernden man`s world laut auftreten und Zeichen setzen. Und so steht SARAH KLANG in einem Bild im Brautkleid vorm Altar, in der Hand einen Kristallkelch mit hellrotem Etwas drin und im nächsten hält sie das Gewehr, hat die Kohlestriche unter den Augen und das Pferd ist ihre Schwester. Eben darum geht es: Dass eine Frau Bilder von sich um ihrer selbst willen schafft, unabhängig davon, Männern gefallen zu wollen. Und so schickt Sarah mit dem Song „Vile“ einen Weckruf raus an “all the girls to get rid of their dumb boyfriend. Not to stay in a relationship being all supportive when he`s not.”
Wahrscheinlich hat mal jemand zwischen Bar und Tanzfläche zu SARAHKLANG gesagt, sie sei das „saddest girl“ in Sweden, sie hat das lachend als Kompliment genommen und es am nächsten Tag mit rotem Garn auf ihren weißen Gürtel gestickt, wie der Schneider im Märchen. „Ich werde wohl nie fröhliche Musik machen” sagt sie in einem Interview mit dem FMag. „Wenn ich froh bin brauche ich keine Erleichterung. Andere Leute gehen zum Therapeuten, ich verarbeite meine Traurigkeit in der Musik.” Wie etwa im wunderschönen Song „Blue Bird“, den sie für ihre Jugendfreundin geschrieben hat, die sich mit Anfang 20 das Leben nahm. “Heartache is universal” sagt Sarah. „Das Traurige muss man zulassen, es macht einen echt.” Und echt ist wahrscheinlich das beste Wort, wenn man das Besondere in der Musik der SARAH KLANG beschreiben will.
Wie viele andere gute Musikerinnen ihrer Generation, Marika Hackman, First Aid Kit, Lana del Rey und (ja warum nicht?) Adele, stiehlt SARAHKLANG die glitzerndsten Steine aus der goldenen Ära der Popmusik, verbindet sie mit dem eigenen Stil, der Musikalität, der eigenen Stimme und macht etwas Neues, Heutiges daraus. Die Produktion, verantwortlich dafür ist Kevin Andersson, atmet viel vom Glanz der alten Tage. Man glaubt hier und da die Leichtigkeit von Fleetwood Mac, die Düsternis von Serge Gainsbourg und die Sehnsucht von Gram Parsons und Emmylou Harris zu hören, aber alles auf „Love In The Milky Way“ ist zweites Jahrzehnt im einundzwanzigsten Jahrhundert und trägt den Vor- und Nachnamen SARAHKLANG.
Die Songs beginnen oft ruhig, gelegte Klavierakkorde, Gitarrenpicking, Mellotron-Flöten. Dann steigt Sarahs Gesang sicher und leicht auf, als wäre die Musik ein Westernsattel und sie würde das schon immer machen. Oft beginnt sie tief, erzählend, dann, mit Einsatz der Band, die Snare ist trocken und tief gestimmt, die Gitarren sind weit wie die Prärie an der Grenze zu Finnland, schraubt sich SARAH KLANG hoch in die Lüfte und singt vom Feuer, den Fremden, der Liebe, die durch die Entfernung wächst und vom verzweifelten Sex des „Rock´n Roll Blues“. Am Ende entlässt sie einen mit dem Nachhall dieser besonderen Stimme, die eine Melancholie auslöst, die nie schwer ist und die sagt:“It‘s okay to be sad.” – Francesco Wilking
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