Abgesagt
Leider muss die Tour abgesagt werden.
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Mit Mut und Chuzpe hat es der 28-jährige John Villagran aka Lil Lotus komplett aus eigener Kraft zu einem Pionier des Emo-Rap gebracht – nur, um nun auf seinem Debütalbum „Errør Bøy“ die Rap-Einflüsse weitestgehend durch eine furiose, so eingängige wie eigenständige Version von Pop-Punk zu ersetzen. Parallel gründete er mit einigen Kumpels, die teils im Hiphop, teils im Post-Hardcore verwurzelt sind, die Metalcore- und Screamo-Formation If I Die First, die nach zwei in der Szene begeistert aufgenommenen EPs gegenwärtig ebenfalls an ihrem ersten Longplayer arbeitet. Ob nun Rap oder Metal, Emocore oder Pop, Punk oder Hardcore, oder was auch immer Lil Lotus gerade als stilistischen Kern seiner Musik definiert – im Ergebnis sind es Songs, die mit authentischer Klarheit und lyrischer Offenherzigkeit den Nerv einer jungen Hörerschaft jenseits aller Genres treffen. Allein auf Spotify versammelt er derzeit eine halbe Million monatliche Hörer, Tendenz rapide steigend. Anfang Juni kommt der Musiker aus Dallas/Texas für zwei Konzerte nach Deutschland, um die Songs seines Debüts in Köln und Berlin zu präsentieren.
Bereits 2017 war sich die Fachwelt einig: „Einer der größten Einflüsse auf die Emo-Rap-Szene“, „ein Pionier des Alternative Rap“, der „die Grenzen des modernen Emo locker verschiebt“. So klangen die Zitate rund um die Veröffentlichung von „Bodybag“, der ersten Lil Lotus-EP. Das Kuriose dabei: der Musiker, Texter, Rapper und Selfmade-Produzent verstand seine Musik nie als Rap, noch wollte er die Rolle irgendeines Pioniers einnehmen. Für ihn sei letztlich alles, was er mache, „auf die eine oder andere Weise eine upgedatete Version von Emo, wie ihn die Bands machen, durch die ich überhaupt dazu kam, selber ernsthaft mit Musik anzufangen“. Zu diesen Einflüssen zählen My Chemical Romance, Paramore und Fall Out Boy, aber auch härtere Metalcore- und Post-Hardcore-Formationen wie Saosin, Alesana oder Escape the Fate.
Seit jüngsten Teenagertagen war dieser Sound der ständige Begleiter von John Villagran, und mehr: eine wichtige Form der Emanzipation von seinem Vater, ebenfalls ein Musiker, der den jungen John mit einer gewaltigen stilistischen Bandbreite von Jazz bis Rock’n’Roll und Reggaeton bis Gospel vertraut machte. Die Familie war obendrein streng religiös, sodass Villagran seine ersten kompositorischen Schritte an einer Musik- und Kunst-Highschool in Form gesungener Lobpreisungen für die Kirchengemeinde unternahm – während er parallel, und zum Leidwesen des Vaters, immer tiefer in die Rapmusik eintauchte. Mit der Entdeckung von Emo und Post-Hardcore, zwei Genres, die in den 00er-Jahren auch unter den Anhängern christlicher Rockmusik immer populärer wurden, konnte er „seinen“ Sound und einen Kompromiss mit dem Vater finden. Und so agierte er in gleich mehreren lokalen Bands als Frontmann zwischen Rap, Gesang und Shouting.
Als er gerade einmal 18 Jahre alt war, verstarb sein Vater und Mentor unerwartet; die folgenden zwei Jahre lebte Villagran als Vagabund in seinem Auto, besuchte landesweit Freunde und suchte nach (s)einem Lebenssinn, wobei er viele Erlebnisse und Gedanken dieser Zeit in eigenen akustischen Songs festhielt. Ab 2016 begann er, einige dieser Songs auf YouTube und SoundCloud hochzuladen, die sich schon bald wie ein Lauffeuer über Blogs, Playlisten und Empfehlungen verbreiteten. Und dabei auch prominenten Kollegen wie nothing,nowhere., Senses Fail oder Papa Roach auffielen, die Lil Lotus in Folge mit auf US-Tournee nahmen, um ihn den eigenen Fans vorzustellen.
Seit seiner ersten EP scheinen für Lil Lotus sämtliche kreativen Dämme gebrochen; allein in den vergangenen zwei Jahren veröffentlichte er neben der EP-Trilogie „All My Little Scars Vol. 1-3“ und seinem Debütalbum „Errør Bøy“ mit „2016-2018“ eine Zusammenstellung mit nicht weniger als 45 Tracks aus seinem Archiv. Dass er daneben noch Zeit fand, mit seiner 2017 gegründeten Hiphop-Crew Boyfriendz ebenso zwei EPs zu veröffentlichen, wie auch mit seiner erst 2020 gegründeten Post-Hardcore-/Screamo-Band If I Die First, zeigt nur, welches Potenzial jenseits aller Kategorisierungen in Lil Lotus steckt – und dass dies alles wohl erst der Anfang ist.